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Ein heiteres Abenteuer mit der Deutschen Bahn

Ich stehe am Sonntag, den 20. Oktober 2019 gegen halb sechs abends am Hauptbahnhof von Frankfurt am Main. Laut Plan soll ich um 17:58 in Frankfurt Süd den ICE nach Hamburg-Altona nehmen. Um dorthin zu gelangen, fährt um 17:42 eine Regionalbahn von Gleis 11. Oder zumindest soll sie das. Ich habe ein Ticket dafür, auf den ausgehängten, auf Papier gedruckten Plänen steht sie drauf, doch auf den großen Bildschirmen am Bahnhof… nicht. Am Gleis ist lediglich von einer ankommenden S-Bahn und irgendeinem anderen Zug nach ganz woanders die Rede. Nirgendwo steht, dass dieser Zug heute ausfällt oder von einem anderen Gleis fährt. Ich wende mich an zwei DB-Servicekräfte, die mitten in der Wartehalle mit einem Menschen quatschen, dem sie doppelt und dreifach erklären müssen, wo sein Gleis ist. Nachdem man mehrfach verlauten ließ, dass man es deutlich eiliger hat, kommt nur ein unfreundliches “Nehmen Sie doch die S-Bahn, die fährt alle fünf Minuten von Gleis 101…”. Die S-Bahn also. Zum Glück habe ich noch mehr als genug Zeit.

Ich komme also überpünktlich in Frankfurt Süd an und stelle dann dort fest, dass der ICE nach Hamburg-Altona heute leider ausfällt. Grund sei laut Lautsprecherdurchsage ein technischer Defekt am Zug. Der ganze Bahnsteig ist natürlich voll mit Menschen, die jetzt dort gestrandet sind und nicht weiter wissen. Sämtliche DB-Informationszentren im Bahnhof sind selbstverständlich bereits geschlossen. Dies ist zwar ein Fernbahnhof, an dem noch mehr als genug Betrieb ist, okay, aber es ist ja schließlich auch schon Sonntagabend. Es bildet sich eine kleine Reisegruppe mit Leuten, die nach Hannover oder Hamburg und dann noch deutlich weiter wollen, eine Dame telefoniert mit dem DB-Kundenservice. So erfahren wir zumindest schon einmal, dass der Zug wegen Flachstellen ausfällt. Aufmerksame Leserïnnen und begeisterte Bahn-Fahrerïnnen fragen sich jetzt: Was sind denn bitte eigentlich Flachstellen? Exzellente Frage. Der Kundenservice wusste das leider auch nicht.

Aber dafür wird uns eine Verbindung vermittelt. Nehmen Sie um 18:33 in Frankfurt Süd die Regionalbahn nach Fulda und steigen Sie dort in den nächsten ICE nach Hamburg. Eine schnelle Recherche ergibt, dass man alternativ auch eine halbe Stunde später von Frankfurt Hauptbahnhof mit einem ICE fahren könnte, aus diesem muss man allerdings auch in Fulda aussteigen und dort in den schon genannten ICE umsteigen. Nach kurzer Evaluation fällt die Wahl schließlich auf die Regionalbahn. Währenddessen wird die wichtigste Frage des Abends gegoogelt: Was zum Henker ist eine Flachstelle?! Es handelt sich hierbei um eine “unerwünschte Abnutzungserscheinung an Rädern von Schienenfahrzeugen” (Wikipedia). Und schon wieder etwas Neues gelernt!

Die Regionalbahn ist voll, aber nicht überfüllt. Ich habe einen Sitzplatz. Die Fahrt nach Fulda dauert deutlich länger als mit dem ICE, der Zug hält an jeder Kuh an, aber ich bin sehr glücklich, sitzen zu können – wissentlich, dass ich vermutlich von Fulda bis Hamburg stehen darf.

Pi mal Daumen gegen halb acht bin ich dann also in Fulda. Es ist bereits stockfinster, und das ist gut so. Fulda ist nämlich einer dieser Orte, wo es nachts im Dunkeln deutlich besser aussieht als am lichten Tage. Auf der Hinfahrt habe ich bei der Durchfahrt noch über die ICEs gelacht, die hier tatsächlich anhalten (und die Leute, die hier aussteigen). Zwanzig Minuten (?) Später kommt dann der ICE nach Hamburg. Er ist voll. Sehr voll. Und das war noch bevor irgendwer eingestiegen ist. Alle Leute auf dem Bahnsteig (von denen vermutlich der Großteil aus dem ausgefallen Zug stammt) drängeln sich in den Zug. Ich stehe im Gang, es ist voll und eng. Der Typ, der neben mir steht, trägt einen Lauch mit sich herum. Einzelne Irre versuchen, ihre Koffer durch die Gänge zu tragen. Vorsichtshalber ziehe ich direkt meine Jacken aus, denn es zeichnet sich schon im Bahnhof ab, dass es auf der Fahrt vermutlich sehr warm werden wird. Einige Zeit später erreicht ein weiterer ICE den Bahnhof und Reisende aus dem Zug steigen ebenfalls in unseren ein. Der Zug hat inzwischen ordentlich an Verspätung gewonnen, letztendlich kommt irgendwann die langerwartete Durchsage: In seinem jetzigen Zustand könne der Zug unmöglich abfahren. Alle Menschen, die in den Gängen stehen, mögen den Zug bitte verlassen.

Vom Bahnsteig in Fulda schaue ich zu, wie im abfahrenden Zug dann selbst in den Gängen zwischen den Sitzplätzen noch überall Leute stehen – nur nicht mehr so viele wie vorher. Aber Kopf hoch! Der nächste ICE nach Hamburg soll circa 50 Minuten später kommen. In ebenjenem Zug sind zwar offiziell alle Sitzplätze reserviert, aber es bleibt verhältnismäßig leer und jeder kriegt einen Sitzplatz. Ich setze mich einfach irgendwo hin, wo noch keiner sitzt. Es laufen für die zwanzig Minuten, die der Zug in Fulda steht, regelmäßig Leute an mir vorbei, die nach einem nicht reservierten Sitzplatz suchen, die nicht auf den schlauen Gedanken kommen, dass wenn da reserviert ist, da aber nach so langer Zeit immer noch keiner sitzt, da vermutlich bis mindestens Kassel-Wilhelmshöhe frei bleiben wird. Ursprünglich sollte der ICE nur etwa fünfzehn Minuten in Fulda stehen, die Abfahrt verzögert sich allerdings um etwa acht Minuten, weil noch Reisende aus einem weiteren Zug erwartet werden. Diese kommen zwar auch, es handelt sich hierbei allerdings um keine weiteren Völkerwanderungen, wie man sie vorher kennengelernt hat.

Um 21:19 Uhr verlasse ich Fulda. In den Wagen hängen Bildschirme, auf denen sämtliche Stationen angezeigt werden – und ich sage wirklich sämtliche, denn der Zug kommt bereits aus München und wir werden weiterhin über alle vorherigen Stopps informiert, Ingolstadt und dergleichen. Aus irgendeinem Grund steht dort außerdem die Abfahrtszeit in München: 18:20 Uhr. Diese Bildschirme werden erst deutlich später aktualisiert, vielleicht erst auf der Höhe von Hannover: Die Abfahrtszeit war eigentlich 18:19.

Es gibt keine weiteren Probleme bei der Fahrt und der Zug wird immer leerer. Leider ist dieser ICE nicht so schnell wie manch anderer, da dieser Intercity Express in Weltstädten wie Celle, Uelzen und Lüneburg anhält. An einem Sonntag gegen Mitternacht. Falls ihr fragt, wie’s war: Diese Orte sind sonntags zu dieser Zeit noch toter, als man sie sich ohnehin vorstellt. In Uelzen kommt nicht einmal mehr eine Durchsage zu Anschlusszügen, auf einem anderen Gleis fährt gerade ein Metronom ab. Ansonsten ist ganz Uelzen bereits im Bett.

Die Durchsagen finde ich übrigens generell sehr interessant in der Deutschen Bahn. Bei jeder Fahrt an diesem Wochenende wurden einem in den Durchsagen Anschlüsse an Züge, die wieder genau in die entgegengesetzte Richtung fahren. Wollen Sie vielleicht noch einmal nach Fulda? Oder nach Kassel-Wilhelmshöhe?

Ursprünglich sollte ich bereits vor zehn in Altona sein. Stattdessen erreiche ich den Hamburger Hauptbahnhof gegen halb eins. Und dann muss man ja auch noch von da wegkommen. Doch das ist kein Problem: Der HVV verspricht auf seiner Website eine S-Bahn etwa eine halbe Stunde später. Doch der Bahnhof ist leer, auf den Anzeigetafeln vor der Treppe wird nichts angezeigt. Einzelne verlassen enttäuscht die Station. An Gleis 2 steht sinngemäß “Bauarbeiten! Züge fahren stattdessen von Gleis 1!”. An Gleis 1 steht zunächst “Derzeit kein Zugverkehr”, dann wechselt es zu “Betriebsruhe”. Am Bahnsteig stehen zwei Servicekräfte aus einem DB-Bordrestaurant, die sichtlich irritiert sind, weil sie von hier eigentlich eine S-Bahn nehmen sollen. Uns kommt ein S-Bahn-Mitarbeiter entgegen, der erklärt, dass montags um diese Uhrzeit nie S-Bahnen fahren würden. Er glaubt nicht, dass der HVV das auf seiner Website behaupten würde. Seine Worte – die S-Bahn fährt pünktlich, im Gegensatz zur Deutschen Bahn! Nach der Anmerkung, dass dies auf gar keinen Fall stimmen würde, korrigiert er sich, dass die S-Bahn höchstens mit Verzug fahren würde, aber nicht gar nicht.

Stattdessen geht’s schließlich mit dem Taxi weiter. Am Taxistopp warten auch schon einige. Irgendwo in der Mitte von Hamburg geht schließlich mein Handyakku leer. Bis zum Ende der Fahrt schaue ich noch als Automatismus häufiger drauf um immer wieder erneut festzustellen, dass es in der Tat immer noch keinen Strom hat. Ich bin schließlich gegen viertel vor zwei zuhause. Der Spaß hat zwar auch vierzig Euro gekostet, war aber deutlich schneller als die S-Bahn brauchen würde und geht ja alles auf den Nacken der Deutschen Bahn.

Der ganze Trip hat etwa acht Stunden gedauert, also etwas mehr als ursprünglich eingeplant. Das Einzige, was ich mich am Ende des Tages dann noch gefragt habe, war wie oft so etwas denn vorkommt. Jeden Tag?

Und das zeigt auch, warum die Bahn so unpopulär ist. Sie ist zu teuer und wenn man Glück hat, kommt der Zug viel zu spät, oder wenn er lustig ist auch mal gar nicht. Trotz dieser Erfahrung (Und dem Wissen, dass so etwas Routine ist), möchte ich hier niemanden zum Fliegen einladen und werde auch in Zukunft immer den Zug nehmen. Aber es zeigt, dass dieses Erlebnis für die ganze Familie deutlich erschwinglicher sein sollte (insbesondere, wenn es auch mal spontan ausfallen kann). Wann wurde das letzte Mal groß in die Bahn investiert? Warum ist das Streckennetz veraltet, warum gibt es keinen Ersatz, wenn ein Zug Flachstellen hat? Jedenfalls lief es super mit der Privatisierung!

Wenn es kein Problem ist, von heute auf morgen genügend Subventionsgelder heranzuschaffen, damit Soldaten kostenlos fahren dürfen, um ihnen Respekt zu zollen, so kann man ja auch vielleicht mal darüber nachdenken, Reisenden, die (tagtäglich) auf die Bahn angewiesen sind oder die – aus gutem Grund! – nicht fliegen wollen und Abenteuer wie diese oder ähnliche regelmäßig erleben, den gleichen Respekt zu erweisen, sie haben es vielleicht auch deutlich mehr verdient als diese Typen in geschmackloser Kleidung. Ein Ansatz wäre ja mal, dem Flugverkehr die Gelder zu streichen. Es wird weniger geflogen und die Bahn wird günstiger – Win-Win.

Und noch ein Hinweis zum Schluss an alle Bahn-Reisenden: Wenn ein Zug ausfällt oder mehr als 60 Minuten Verspätung hat, entfällt die Zugbindung und ihr könnt jeden Zug nehmen (der in die gleiche Richtung fährt). Außerdem gibt es ein Formular, mit dem man sein Geld zurückfordern kann. Das Taxi wird bis 80 Euro bezahlt.